Abfahrt. Immer ein kleiner Aufbruch. Die Vorfreude endlich in Kilometer verwandeln. Straße unter den Rädern, Landkarte im Kopf. Ob das Ziel so wird, wie erträumt? Ob der Weg uns Geschichten schenkt?
Die Pferde der Moto Guzzi stampfen ungeduldig, wollen endlich laufen, wollen Asphalt unter den Hufen, den Fahrtwind um den Tank. Im Beiwagen spürst du jeden Kolbenhub, spürst, wie der Motor lebt, wie der Mann am Lenker uns sicher führen will, wenn wir ihn gut bei Laune halten. Denn einer lenkt, der andere staunt, und beide träumen vom See.


Im Beiwagen auf Höhe der LKW-Radnaben
Mit der Nase auf Höhe der LKW-Räder bleibt genug Zeit, das Straßenbegleitgrün zu studieren. Die Sonne scheint, aber schwarze Wolken türmen sich.
Solange das Wetter hält, ist Guzzi & Beiwagen einfach nur Vergnügen. Wann aber wird’s zum Abenteuer? Ganz einfach: wenn es regnet. Wetter ist ohne Dach und Wände ein unberechenbarer Faktor. Die Autos schnurren vorbei, manch ein Fahrer guckt. Neidisch?
Doch bald knallen die ersten Tropfen wie Erbsen auf Helm und Scheibe. Von wegen Regenschutz! Vom Fahrtwind geschubst, drängeln sich erst die Tropfen, dann ganze Wasserströme in den Beiwagen. Die Arme stecken in der Regenjacke, sind also wetterfest und dichten die Einstiegsluken rechts und links ein wenig ab.
Von der Fahrerseite aus spritzt das Wasser direkt von der Guzzi-Verkleidung hoch zur Luke. Dort hätte die Seitenwand gut zehn Zentimeter höher sein können, von dort aus steigt ja niemand ein. Bis auf das Wasser, jetzt: Es gischtet und drängt, die Tropfen schieben sich die Scheibe hinauf bis hoch zur Kante, halten einen Moment inne, als müssten sie noch überlegen: „Fall ich – oder fall ich nicht“ bevor sie sich geradewegs nach unten auf meine Hose fallen lassen und darin versickern. Zum Glück ist es nicht kalt.
Rast mit Picknick
Der Fahrer grinst. Kein Wunder, er ist ja in seiner Motorradkluft auch trocken geblieben. Rastplatz? Frikadellen, Leberwurstbrot, hart gekochte Eier. Ich schmecke innerlich noch die alten Schulsandwiches: feuchte Socke auf Dachpappe.
Aber: Hier gibt’s Kaffee. Richtigen Kaffee. Vielleicht ist das Glück auf Reisen manchmal einfach nur: Ein trockener Fahrer. Ein nasses Abenteuer. Und ein heißer Kaffee.

🏕️ Rituale des kleinen Glücks.
Nur noch ein paar Kilometer bis zum Bodensee. Und wie durch ein kleines Wunder wartet am ersten Campingplatz genau ein freies Plätzchen. Für uns. Für das Zelt. Für die Guzzi.Beim Campen gibt es Regeln. Unausgesprochen. Unverhandelbar.
🔸 Der Mann wirft das Zelt aus.
🔸 Die Häringe klopft er mit präziser Routine in den Boden.
🔸 Die Matten? Blasen sich gefälligst selbst auf.
🔸 Die Schlafsäcke dürfen einmal tief durchlüften.
Nach maximal fünf Minuten, so lautet das eherne Gesetz, muss er auf der gefalteten Matte sitzen. Rücken gerade. Blick zufrieden. Und das erste Bier macht: Plopp.
Alles andere wäre Hochverrat am Camping-Kodex.


🇨🇭Keine Kohle in der Schweiz.
Weil noch Zeit ist, fahren wir kurzerhand in die Schweiz. Der Fahrer murrt: „Zu spät.“
Die Guzzi schnurrt: „Zu schnell.“
Und beim Italiener in der Schweiz, Pizza auf dem Tisch, stellt der Fahrer plötzlich fest:
👉 „Keine Kohle.“
Aber ich? Ganz entspannt: „Hab doch meine EC-Karte.“
Was ich nicht wusste: Mit der EC-Karte funktioniert zwar der Pizzakauf, aber nicht die Lichtmaschine. Da waren wohl andere Kohlen gemeint.

Das Pfahldorf am Bodensee
Sechstausend Jahre ist es her, dass hier Menschen ihre Hütten auf Stelzen ins Wasser setzten. Steinzeit. Bronzezeit. Vielleicht aus Angst vor Überfällen. Vielleicht, weil’s beim Angeln praktischer war. Oder einfach, weil es ihnen gefiel.
So genau weiß es keiner. Manchmal bleiben von der Geschichte eben nur Geschichten.
Der Fahrer aber? Der hat keine Geduld mehr für Spekulationen. Seit wir neulich in die Schweiz fuhren, hat er die alte Guzzi etwas zu sehr getrieben. Ab einem gewissen Alter haben nicht nur Menschen, sondern auch Motorräder mit Beiwagen ihre kleinen Zipperlein.
Die Lichtmaschine schweigt. Der Fahrer möchte sie ans Stromnetz hängen. Doch auf dem Zeltplatz sind alle Steckdosen besetzt.
Immerhin gibt’s am Abend Bodensee-Felchen. Als Trost. Und zum Abschied.
🍒 Auf vertrautem Weg zurück.
Die Rückfahrt beginnt wie ein Déjà-vu. Am Straßenrand grüßen die großen, roten Früchte: Kirschen. Erdbeeren. Himbeeren. Ein leiser Hinweis: Der Sommer hat hier schon immer etwas Süßes im Gepäck. Gemächlich schaukelt uns die Guzzi über die Landstraßen. Nicht schnell. Aber stetig.
Hier gibt es immerhin bessere Chancen auf eine Werkstatt, falls die Lichtmaschine noch einmal schwächelt. Die Pferdchen traben ruhig und laut. Immer schön am Neckar entlang.
Bis Tübingen. Durch Tübingen. Bis zum Zeltplatz. Dort rührt sich nichts mehr. Die Mittagspause ist längst vorbei, aber das Motorrad macht einfach: Nichts.
Zum Glück gibt es freundliche Zeltplatzwarte. Und eine freie Steckdose.

Und am nächsten Tag gibt es eine Pause in der Eisdiele, während die Batterie noch einmal für zwei Stunden geladen wird. Dann reicht der Saft – und wir kommen gut wieder nach Hause.
Beitrag veröffentlicht in der Zeitschrift Motorradgespann Nr. 131