
11.000 Jahre alt ist die Geschichte der Menschen in Kappadokien. Sie erzählt von Steinzeitmenschen, Seldschuken, Römer, Griechen, Frühchristen, Türken, Armenier, Griechen. Als Tacitus von den Germanen behauptete, sie lägen noch auf Bärenhäuten, zog durch Kappadokien alles, was damals Rang und Namen hatte. Quer durch das Land führte die Seidenstraße, und weil die kilikische Pforte der einzige Weg durch das Taurus-Gebirge ist, auf dem sich die anatolische Hochebene einigermaßen bequem besteigen lässt, zogen Händler und Eroberer gleichermaßen hier durch.
Die Menschen in Kappadokien hatten sich bereits vor den Türken und der Invasion durch Touristen bereits daran gewöhnt, dass aus allen Richtungen Fremde durch ihr Land zogen: Aus dem Osten kamen Perser, aus dem Südosten zuerst Araber, später Türken, aus dem Westen Griechen, Römer und Kreuzritter, und aus dem Norden wilde Reiter vom Schwarzen Meer.
Irgendwie lag somit Kappadokien immer auf dem Weg, und war damit alles andere als Provinz. Hier trafen Kulturen, Religionen und Völker aufeinander.
Die unterirdische Stadt

Heute dagegen sieht Kappadokien nach Hinterland aus: Nichts los und davon viel. Doch nicht alle, die durch das Land zogen, waren friedlich unterwegs. Deswegen brachten sich die Menschen bei Bedarf in Sicherheit. Sie gruben Fluchträume aus weichem Tuffstein, und verschwanden darin, sobald Perser oder Römer im Anmarsch waren. Das letzte Mal benutzten die kappadokischen Bauern 1838 eine solche unterirdische Fluchtburg, als die Ägypter kamen. Später gerieten diese in Vergessenheit und wurden nur zufällig wieder entdeckt, erzählt der Reiseführer.

Viele Meter tief, bis zu acht Stockwerken, reichen manche dieser unterirdischen Bauwerke. Die Größenordnung ist immens und in ihnen waren die Menschen für eine ganze Weile sicher. Es gab Ställe, Vorratsräume, Latrinen, Kirche, alles, was für ein unterirdisches Leben notwendig war. Gut, die Aussicht war nicht so besonders. Die Gänge waren schmal, manche ziemlich steil, vor allen Dingen an vielen Stellen unbequem zu laufen. Damit waren sie auch schwer zu erobern, falls einer der Invasoren sich fragen sollte, wo die ganzen Bewohner denn so abgeblieben waren und auf die Suche ging.
Ein unspektakulärer Eingang

Der Eingang zur unterirdischen Stadt war unspektakulär. Es ging einen schmalen, staubigen Pfad entlang, zu einer Hütte mit Vorplatz und einer schmalen Türöffnung, die sich nicht von den Türöffnungen der umliegenden Behausungen zu unterscheiden schien. Der erste Raum war nur durch diese Tür zu betreten und völlig fensterlos. Eine Scheune, erklärt Ertan. Es ging weiter, durch Räume, enge Gänge, schmal und niedrig. Oft geht es nur ganz langsam weiter, so trippelschrittchenweise, der Blick reichte nicht weit und die Beleuchtung war eher schummerig. Wie mag das erst gewesen sein, als es weder Strom, noch Glühbirnen, sondern nur Kerzen, Fackeln und Öllämpchen gab? Wer Angst hatte, Angst vor der Enge, der bleibe besser draußen, hatte Ertan, uns gewarnt. Es gab Lüftungslöcher, und Rinnen, die in Zisternen führten. Kein Ungeziefer wage sich hier herein, sagte Ertan, weder Ratten, noch Fledermäuse.

Große runde Steine standen in Nischen bereit. Im Ernstfall der Verteidigung konnten sie wie in einer Laufschiene vor die Türen gerollt werden und riegelten den schmalen Gang ab. Mit Loch in der Mitte, nicht als Türspion, zum Gucken, sondern dafür, dass ein Speer den Angreifer empfindlich im Bauch pieken konnte. An den Seiten und in der Decke gab es dazu auch solche Löcher. Eine Theorie besagt übrigens, dass diese unterirdischen Städte weniger zur Flucht, denn zur Verteidigung dienten. Wer von der kilikischen Pforte kam, musste an ihnen vorbei Spießruten laufen. Siedlungen sind hier oben auf der Hochebene, so ohne Wasser, Bäume und Sträucher, generell eher unbequem. Da waren (und sind) die Täler, die weiter unten liegen, wesentlich attraktiver.
Der Burgberg von Uchisar

Manchmal flüchteten die Menschen in Kappadokien jedoch nicht unter die Erde, sondern bauten ihre Festung direkt in den Berg hinein – und konnten damit ihre Umgebung überblicken. Wie ein überdimensionierter Ameisenhaufen mit vielen kleinen Löchern, so sieht der Burgberg von Uchisar aus. Manche Löcher zeigen Räume, denen quasi die Außenmauer fehlt. Beweis dafür, dass der Berg früher noch größer gewesen sein muss. Von oben ließ sich gut beobachten, wer unten vorbeizog. Waren es Freunde, konnten sie auf Leitern hinaufgebeten werden. Waren es Feinde, mussten sie unten bleiben. Einige der Höhlen sind noch bewohnt, in einem kleineren Berg haben die Bewohner ein Café eingerichtet.

Auf dem Weg zum Burgberg stehen leere Häuser, halb verfallen, mit filigranen Ornamenten um den Fenstern. Da wohnten Griechen, erklärt unser Reiseführer. Seit diese 1923 vertrieben wurden, stehen die Häuser leer. Damals mussten alle Griechen in der Türkei ihre Sachen packen und nach Griechenland ziehen. Die Türken, welche bis dahin in Griechenland lebten, kamen dafür zurück. So waren wieder alle Nationalitäten hübsch sortiert, jeder dorthin, wo er ursprünglich hingehörte. Weil aber weniger Türken kamen, als Griechen wegzogen, blieben viele Häuser leer. Bis heute. Dazu kam, dass es in vielen Orten dann weder Lehrer, noch Apotheker oder Arzt gab, Berufe vieler Griechen. Dafür kamen Türken, die weder lesen noch schreiben konnten. Bis aus den Daheimgebliebenen und den Rückkehrern gute Nachbarn wurden, das dauerte – und dauert wohl manchmal noch bis heute, wie der Reiseleiter erklärte.
Obsidian in Uchisar

Rund um Uchisar gibt es Obsidian, Händler bieten ihn als Figürchen an. Entstanden ist er aus einfachem Sand, geschmolzen in vulkanischer Hitze. Sand gibt es wie Sand am Meer. Ist dieser rein, ist er chemisch Siliciumdioxid. Erhitzt auf mehr als 1700 Grad Celsius, schmilzt er und es entsteht beispielsweise Glas. In den türkischen Vulkanen war es heiß genug, Steine und Sand schmolzen gleichermaßen und flossen als Lava. Kühlt solch geschmolzener Sand schnell ab, wird manchmal schwarzer Obsidian daraus. Ähnlich wie Feuerstein lässt sich Obsidian mit einem anderen Stein bearbeiten, springt auseinander, und bildet scharfe und muschelförmige Bruchkanten. Menschen der Frühzeit nutzten Klingen aus Obsidian und verwendeten Splitter daraus für Speere und Pfeile, lange bevor sie lernten, Metall zu schmelzen.
Die Römer polierten später Obsidian so lange, bis sie sich in ihm spiegeln konnten.
Fantasyspieler kennen ebenfalls Obsidian: In ihren Welten dürfen Magier nur Dolche aus Obsidian zum Kampf nutzen, Waffen aus Metall würden dagegen ihre Zauberkraft behindern. Heutzutage wird der Obsidian zu Schmuck oder zu Figürchen verarbeitet. Und Esoteriker mögen ihn: Er gilt bei ihnen als Stein, der erste Hilfe leisten kann, weil er sowohl Schock, als auch Angst und Blockaden lösen soll. Er soll bei Wundheilung sowie gegen Raucherbein und kalte Füße helfen. Außerdem soll Obsidian die Wahrnehmung verstärken, so dass Menschen verdrängtes erinnern können und hellsichtig werden.
Die Kirchen in den Bergen von Göreme

Die Berge sind, genau wie der Boden, aus weichem Stein. Wer eine Wohnung braucht, nimmt Meißel und Hammer, auch wenn ein neuer Schrank, ein Regal oder ein Bett gewünscht wird. So halten es die Menschen in Kappadokien schon lange, auch die Christen, die einst auf der Flucht vor Verfolgung hier eine neue Heimat fanden.
Nach Jesus Tod war das Leben für Maria nicht einfach, so wie für alle, die an ihn geglaubt hatten. Jetzt sollten bitte alle wieder ganz normale Juden sein, die Römer herrschten, und die Pharisäer scheffelten in ihren Tempeln das Geld. Irgendwie wollten das jedoch nicht alle, und suchten eine Gegend, in der sie ungestört leben, beten und den Menschen von Jesus erzählen konnten. Im Tal von Göreme fanden sie einen Ort – und genügend Felsen. In ihnen wurden im Lauf der Zeit viele kleine Kirchen, aber auch Klöster und Einsiedlerzellen gemeißelt. Selbst die Nischen fürs Geschirr, Tische und Bänke in den Refektorien und andere Einrichtungen sind aus Stein gehauen.
Christen wohnten hier vom 4. bis zum 13. Jahrhundert, besiedelten Kirchen und Klöster. Zunächst war die Geschichte der Evangelien wie in bunten Comics auf den Kirchenwänden verewigt, dann gab es darüber Streit – und die Gesichter wurden so weit ausgekratzt, so hoch die Eiferer mit ihren Armen reichten. Später wurde es ruhig um Göreme, alles geriet ein wenig in Vergessenheit, über dem dürres Gras wuchs, gelegentlich von Schafen und Ziegen benagt.
Weltkulturerbe Höhlenkirchen

Heute ist hier Weltkulturerbe, alles darf beguckt werden, man kann fast mit der Nase an den Wänden riechen. Weil niemand mehr weiß, ob die Kirchen ursprünglich überhaupt einen Namen hatten, oder ob sie nach denen benannt wurden, die hier wohnten, kochten, arbeiteten, stritten, sich liebten, was auch immer, wurden sie nach ihren Eigenheiten benannt. Es gibt die Apfelkirche, die Spangenkirche, die Sandalen-Kirche, die Schlangenkirche und die Schwarze Kirche, in der die Bilder am schönsten, am farbigsten erhalten waren, einfach weil nur durch ein winzig kleines Fenster in der Felswand Licht hinein kam. Selbst die Tür war so gebaut, dass es erst in einen Vorraum ging und dann noch einmal um die Ecke, so dass wirklich wenig Luft und Licht in den Raum kam.
Das Tal der Mönche

Der weiche Stein, dessen Ursprung in vulkanischer Tätigkeit liegt, wurde nicht nur von den Menschen, sondern auch von Wind und Wetter geschaffen. Daher sehen die Säulen mit ihren Mützchen so aus, als seien sie zu Stein erstarrte Mönche, ihre Kapuzen für immer über das Gesicht gezogen. Feenkamine werden sie genannt, und sie blieben dort stehen, wo ein härteres Lavamützchen die butterweichen Steinschichten schützte und sie damit nicht von Wind und Wetter abradiert wurden.
In einigen der Säulen sind Räume, in denen einst Einsiedler wohnten. Hinauf ging es nur mittels Leiter. Sie zogen in die Einsamkeit, weil ihnen schon damals schon die Welt zu viel war, die Menschen um sie herum. Was würden diese Eremiten heute sagen, in unserer Zeit, in der jeder ständig und überall erreichbar sein muss?
Einsiedler im Tal der Mönche

Eine Kapelle ist St. Simeon geweiht. Er lebte als Einsiedler im 5. Jahrhundert in der Nähe von Aleppo. Doch schon damals machte ein solch zurückgezogenes Leben Menschen neugierig. Wie lebt jemand so ohne Schwätzereien und alleine? Wer sich seinen Mitmenschen entzieht, gibt deren Phantasie Nahrung. Deswegen kamen neugierige Frauen auf die glorreiche Idee, dass Simeon Wunder wirken und heilen könne. Grund genug, zu ihm zu pilgern – und ihm, der doch lieber alleine gewesen wäre, auf die Pelle zu rücken. Also hat sich Simeon auf eine Säule gesetzt: 15 Meter näher am Himmel und so weit wie möglich weg von den Menschen. Hier oben konnte er in aller Ruhe meditieren. Zur Erde stieg er nur hinab, wenn er ein wenig essen und trinken musste – seine Verehrer brachten ihm mehr als genug davon. Ob sich Simeon jemals wieder gewaschen hat?
Der Film Simón del desierto (1965), auf deutsch: Simon in der Wüste ist ein Film von Luis Buñuel, den dieser über ebenjenen Säulenheiligen drehte. In diesem ist zu sehen, wie sich der Satan in unterschiedlichen Gestalten nähert und Simeon auf seinem steinernen Hochsitz verführen will: Als Frau im Matrosenanzug und als blonder Hirte mit Locken versucht er noch, Simeon von unten zu locken. Erst beim dritten Mal klettert Satan schließlich als Frau an der Säule hoch und schmust mit Simeon. Doch der Heilige bleibt standhaft, so wie seine Säule und sieht schlussendlich, wie der Böse auf einem Borstentier davoneilt.
Das Tal der steinernen Soldaten

Es heißt, ein guter Bildhauer weiß, welche Figur sich im Stein verbirgt. In seiner Arbeit mit Hammer, Meißel und Schlageisen zeigt der Künstler seine Schlagfertigkeit, bearbeitet die Blöcke Splitter für Splitter so raffiniert, dass die Skulpturen lebendige Präsenz erhalten. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen von Pygmalion, der als Bildhauer die Statue einer Frau schuf und diese dank der Göttin der Liebe sogar lebendig wird.
Ob das für Wind und Wetter auch so gilt? Diese brauchten zwar entschieden länger dafür, bis sie Sandkörnchen für Sandkörnchen von den Statuen entfernt hatten, so ganz ohne anderes Werkzeug, wie es ein Bildhauer gewöhnlich benutzt. Aber wenn ein Bildhauer nur pusten würde, bräuchte er ebenfalls länger, als sein Leben dauert. Immerhin schufen Wind und Wetter im Lauf der Jahrmillionen im Tal der Steinernen Soldaten einen ganzen Skulpturenpark.

Wie in den ständig wechselnd vorüberziehenden Wolken am Himmel lassen sich mit ein wenig Phantasie in den Steinen Figuren entdecken, eine Madonna, miteinander schwätzende Weiber und ein ruhendes Kamel. Wie lebensecht das Kamel von Wind und Wetter aus dem Stein geschmirgelt wurde, zeigt der Zaun um den Stein herum, der Besucher hindert, in den Sattel zu steigen. Die Schuhe der Touristen graben ebenso geschwind wie deren Finger so tiefe Rillen in den weichen Stein, dass von dem Kamel in Nullkommanix mehr übrig bliebe.
König Krösus kämpfte in Kappadokien
Der Name des Tals erinnert an eine ferne Vergangenheit. Ob sich alles so zutrug, wie überliefert? Einst fragte König Krösus, der für seinen Wohlstand und seine Freigebigkeit so bekannt war, dass sein Name als Synonym bis heute für spendable Menschen gilt, das berühmte Orakel von Delphi. Dessen Weissagung: „Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören“, interpretierte Krösus so, als sei der Sieg sicher und zog gegen die Perser.

Den Halys überquerend, kam Krösus in das von ihnen regierte Kappadokien. Im Tal der Steinernen Soldaten trafen die Lyder und die Perser in einer Schlacht aufeinander, von der es bei Herodot heißt: „Als Phraortes tot war […] und Kyaxares gegen die Lyder stritt, dazumal, als mitten im Streit Nacht ward aus dem Tag […] Die Sage erzählt, dass sich die Sonne verfinsterte und somit die Schlacht unterbrach. Schließlich galt in der Antike eine Sonnenfinsternis als unheilbringendes Zeichen, vorausgesagt von Thales von Milet. Als diese tatsächlich eintraf, ließen die Kämpfer voneinander ab und schlossen Frieden. Jedenfalls vorerst, denn später wurde Krösus tatsächlich von den Persern besiegt. Diejenigen Krieger, die weiterkämpften, versteinerten.
Die drei Schönen

Vulkane schufen den Boden, auf dem wir heute in Kappadokien unterwegs sind: Längst waren alle Saurier auf der Erde tot und bis auf die Knochen abgenagt, Säbelzahntiger jagten hinter Rüsseltieren her, katzengroße Pferdchen grasten auf weiten Wiesen. Wenn es je ein Paradies gab, dann war es vielleicht hier zu finden. Doch schon damals lag gleich neben dem Paradies die Hölle: Hier waren es die drei Vulkane Erciyes Dağı, Hasan Dağı und Melendiz Dağı, wie sie später genannt wurden.
Ob sich die Vulkanausbrüche mit Rauchzeichen oder kleineren Erdbeben ankündigten, so dass die Tiere fliehen konnten? Es waren heiße Zeiten: Regelmäßig spuckten die drei Vulkane unvorstellbare Mengen an Lava und Asche über Kappadokien. Kühlte die Asche ab, wuchsen rasch neue Wiesen, auf denen Tiere grasten, die nichts von der heißen Hölle ahnten. Immer wieder ließen die Vulkane Magma, Asche und Lava über die Landschaft regnen.

Aus dem heißen Ascheregen bildete sich Tuff, der immer dann entsteht, wenn das flüssige Magma nicht als glühender Strom aus dem Vulkan fließt, sondern mit hoher Wucht aus dem Krater geschleudert wird. Alles zerstäubt zu staubfeinen bis faustgroßen Brocken, fällt als glühender Regen auf die Erde. Viele Meter hoch legte sich die Vulkanasche über das Land. In den Tälern, die tief in das märchenhafte Land eingeschnitten sind, lässt sich ahnen, wie hoch einst die Erde von heißer Asche bedeckt war.
Vulkane formten die Landschaft
Manchmal schleuderten die Vulkane auch größere Brocken, die sich überall verteilten: Heute bilden diese die kleinen Mützchen auf den einzelnen Stelen. Im Hintergrund des Panoramas ragt der Erciyes Dağı achtungsvoll mit einer kalten Schneehaube empor, wie ein weiser Alter. An seine stürmische Jugendzeit erinnern dagegen die drei Schönen, die im Vordergrund stehen:

Drei hohe Säulen aus Tuffstein sind mit einem Deckstein bedeckt. Sie wirken wie grob geschnitzte Figuren aus einem Riesentheater, stumme Zeugen einer heißen Vergangenheit, die in Jahrmillionen von Wind, Regen, Hitze, Kälte oder Sturm aus dem Stein geschaffen wurden. Dank der Kappe, die aus einem härteren Material besteht, wurden sie vor der Erosion geschützt.
Immer noch wirken Wind und Wasser an den Steinen, schmirgeln Körnchen für Körnchen heraus, lassen alte Feenkamine einstürzen und legen an anderen Stellen neue frei. Manche sind über siebzig Meter hoch, höher als ein Riesenrad. Andere sind kleiner. Manche sind spargeldünn, andere zwanzig Meter stark. Schroffe Falten liegen neben spitzen Felsnadeln. In manche dieser Schluchten kann man ein Stück weit hineingehen, bevor die Felswände so dicht aufeinanderrücken, dass kein Durchkommen mehr möglich ist.
Das letzte Mal brach der Hasan Dagi übrigens vor rund 9000 Jahren aus. Erdgeschichtlich gesehen ist das wie vorgestern.
Ein bunter Abend
So spannend die Landschaft in Kappadokien ist, so spannend sind auch die Begegnungen mit den Menschen, die dort leben. Daher ist ein türkischer Abend geradezu Pflicht. Was macht ein türkischer Mann, wenn eine Bauchtänzerin so lange vor ihm tanzt, bis er Trinkgeld gibt? Sollte er alleine oder in Gesellschaft anderer Männer unterwegs sein, genießt er. Schaut. Und wartet. Faltet einen Geldschein, klemmt ihn zwischen seinen Zeige- und Mittelfinger und wartet, bis die Tänzerin nahe genug an ihn herangekommen ist: Dann lupft er nur ein ganz kleines bisschen mit dem Ringfinger den BH-Träger der Tänzerin.
Nur ein bisschen und damit meine ich: Ein BH-Träger ist schließlich keine Bogensehne! Er lupft ihn so weit, dass er den gefalteten Geldschein darunter schieben kann. Schon kleine Jungen lernen das von ihren großen Brüdern oder ihren Vätern, wenn sie mit ihnen unterwegs sind. Wird der türkische Mann dagegen von seiner Frau begleitet, blinzelt er der Bauchtänzerin höchstens so vorsichtig zu, dass die Frau nichts davon mitbekommt. Offen hinschauen und genießen? Wer keinen ausgewachsenen Ehekrach haben möchte, lässt das, schaut nach unten, zur Seite, zu seiner Frau, irgendwohin, aber niemals, wirklich mit keinem Blick, zur Bauchtänzerin.
Getanzt wird zu jeder Gelegenheit
Ertan gab eine kurze türkische Sittenkunde. Volkstänze wurden traditionell in den Dörfern an Hochzeiten, Feiertagen, zur Verabschiedung der Rekruten, zu Siegesfeiern, kurz: Immer, wenn es passte, aufgeführt. An diesem Abend gab es erst einen langsamen Tanz, der den Ablauf eines türkischen Polterabends widerspiegelte: Der Bräutigam wurde eingeseift und rasiert, die Hände der Braut mit Henna gefärbt.
Zum Schluss die Bauchtänzerin. Am Nachbartisch saß ein türkisches Paar, feierte den Hochzeitstag, wie sie erzählten. Die Bauchtänzerin kam, der Mann betrachtete völlig konzentriert seine Fingernägel. Sie tanzte, schüttelte mit ihren Klimperketten, es fehlte nicht viel, und der Mann hätte in seiner Nase gepopelt, nur um zu zeigen, dass ihn der Tanz nicht interessiert. Die Frau dagegen war aufmerksam, schaute genau, wohin der Mann sah.
Bis dieser endlich einen Geldschein aus der Tasche fingerte, faltete, zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmte und mit dem Ringfinger den Träger des BHs lupfte, nur ein ganz kleines bisschen, bis er gerade so den Schein unter den Träger schieben konnte. Ob es zwischen den beiden noch Krach gab? Keine Ahnung. Solange ich am Nebentisch saß, waren sie lieb und freundlich.
Und wer den ersten Teil verpasst hat, hier ist er: Kappadokien ist eine Reise wert – von der Küste nach Konya